Finanzausgleich und Abschaffung der Gesundheitspartnerschaft zwischen Ärztekammer und Sozialversicherung

Neue Informationen vom 13.11.2023

Im Zuge des Finanzausgleichs 2024 bis 2028 plant die Politik (Bund, Land, Sozialversicherung), eine Reihe von Gesetzen (insbesondere Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, Ärztegesetz, Apothekengesetz, Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz, Gesundheitstelematikgesetz), die für den Gesundheitsbereich relevant sind, zu ändern. Diese Begleitgesetze sollen sehr zeitnahe und ohne Begutachtungsverfahren noch im Dezember 2023 umgeändert werden. Geplant ist die Einbringung im Ministerrat am 22. November und in das Plenum im Nationalrat am 14. Dezember 2023.

Dies bedeutet, dass eine Möglichkeit der Teilnahme an der politischen Willensbildung und somit das Einbringen der Expertise der Ärztekammer nicht in der bisherigen Form möglich bzw. nicht gewünscht ist.

Die vorliegenden Entwürfe bedeuten für die niedergelassene Ärzteschaft folgende einschneidenden Maßnahmen:

  • Es soll eine neue Konkurrenz für Einzelpraxen und Gruppenpraxen in Form von Ambulatorien mit Kassenvertrag geben: Dafür wird der Ärztekammer das Recht aberkannt, die bestehenden Vertragsarztstellen durch den Stellenplan zu schützen. Ambulatorien sollen ohne Zustimmung der Ärztevertretung anstelle von Einzelordinationen und Gruppenpraxen an beliebigen Plätzen eröffnen können. Träger dieser selbständigen Ambulatorien können auch nicht gemeinnützige Gesellschaften sein.
    • Der Stellenplan soll künftig durch Bund und Länder im RSG geregelt werden.
    • Verlust des Mitspracherechts bei der Gründung von Ambulatorien
    • Wegfall der Bedarfsprüfung für Ambulatorien, wenn eine Kassenstelle erfolglos ausgeschrieben wurde
    • Bei der Bedarfsprüfung selbst hat die Ärztekammer keine Parteistellung mehr.
    • Eigene Einrichtungen der Sozialversicherung werden Vertragsärzt:innen und Gruppenpraxen gleichgestellt
  • Bis Ende 2025 MUSS es einen „Pflichtabschluss“ eines bundesweit einheitlichen Gesamtvertrages inklusive pauschalierter Honorare mit wenigen Einzelleistungen geben, ansonsten werden alle bestehenden Honorare und regionalen Gesamtverträge dauerhaft eingefroren. Dies kommt einem Entzug der Vertragskompetenz der Landesärztekammern mit 1. Jänner 2026 gleich.

Dies bedeutet einen Verlust der Mitgestaltung der Ärztekammer im Sinne ihrer Mitglieder und eine Monopolstellung der gesetzlichen Krankenversicherung! Aufgrund der damit im Verhältnis zur Ärztekammer gestärkten Position der Sozialversicherung sind keine fairen Bedingungen für die Kassenärzteschaft mehr in Verhandlungen zu erreichen und somit wird der kollektive Schutz der Vertragsärzt:innen durch den Gesamtvertrag mit diesen Begleitgesetzen zum Finanzausgleich abgeschafft. Das Gleichgewicht zwischen der Sozialversicherung als Zahler und der Ärztekammer als Leistungsanbieter wird ausgehebelt.

Dies wird durch Aussagen von ÖGK-Obmann Huss vom Oktober zusätzlich verschärft, dass nämlich die Sozialversicherung mit dem ihr zur Verfügung stehenden Geld sowie den zusätzlichen Mitteln, die sie bei den Finanzausgleichsverhandlungen erhält, „unmöglich einen modernen, einheitlichen Leistungskatalog für die niedergelassenen Ärzte umsetzen könne“.

Selbstverständlich ist es wichtig, die Vorteile der derzeitigen niederösterreichischen Gesamtverträge beizubehalten:

  • 4-Tage-Woche
  • keine verpflichtende Nachmittagsordination für Einzelpraxen
  • kein verpflichtender Bereitschaftsdienst (für Wochenenden, Feiertage und Nächte)
  • Gruppenpraxen-Gesamtvertrag insbesondere Regelung für Job-Sharingpraxen
  • Wertsicherungsvereinbarung

Diese günstigen Bedingungen wären sowohl im Falle einer Aufkündigung als auch einer fristlosen Auflösung des Gesamtvertrages durch die Ärztekammer gefährdet.

Weitere Punkte im Entwurf zu den Begleitgesetzen:

  • Wahlärzt:innen: verpflichtende Verwendung der E-Card und Anbindung an ELGA für alle freiberuflich tätigen Ärzt:innen ab 1. Jänner 2026 und verpflichtende elektronische Übermittlung von Honorarnoten als Voraussetzung für die Kostenerstattung
  • Heilmittel: Die Wirkstoffverschreibung soll künftig verpflichtend sein. Einzige Ausnahme: Wenn Ärzt:innen am Rezept maschinenlesbar eine Indikation für ein bestimmtes Produkt vermerken.
  • Einführung der gesetzlichen Codierungspflicht nach dem ICD-10 für Kassenärzt:innen ab 1. Jänner 2025
  • Ausschreibung von Kassenstellen soll künftig ausschließlich durch die Sozialversicherung erfolgen. Ein Einvernehmen mit der Ärztekammer ist nicht mehr notwendig.
    • Wird eine Kassenstelle zweimal erfolglos ausgeschrieben, kann die Sozialversicherung eine Sondervereinbarung abschließen.
    • Auch Verträge außerhalb des Gesamtvertrages sollen künftig möglich sein.
    • Für die Bereiche, in denen es keine Gesamtverträge gibt, sollen Sonderverträge möglich sein: Sondervereinbarungen im Einzelvertrag zwischen Kasse und Ärzt:innen sind somit auch ohne Zustimmung der Ärztekammer möglich und bieten keinen Schutz mehr durch den Gesamtvertrag.
    • Die Kündigung eines Einzelvertrages bedeutet künftig das Ende aller Kassenverträge.
  • ÖQMed bleibt als Institution allerdings mit eingeschränkten Aufgaben (nur Evaluierung) bestehen; Besuche vor Ort werden durch die GÖG abgewickelt.
  • Ausbildung: Die Anerkennung als Ausbildungsstätte in einem Krankenhaus ist ab 1. Jänner 2024 auch dann möglich, wenn es nur noch eine:n Fachärzt:in oder eine Vertretung auf der Abteilung gibt, die:der in der Kernarbeitszeit anwesend ist.
  • Tätigkeiten im Rahmen von Ärztebereitstellungseinrichtungen (bei unbesetzten Kassenplanstellen) sind automatisch freiberufliche Tätigkeiten und begründen keinen Ordinationssitz.

Unsere wichtigsten Forderungen:

  1. Weitreichende Änderungen des Gesundheitssystems bedürfen der Einbindung aller gesellschaftlichen Gruppen im Rahmen eines regulären Begutachtungsverfahrens.
  2. Entfall der unsachlichen Regelung zum Pflichtabschluss eines einheitlichen Gesamtvertrages samt Honorarordnung unter Androhung des Einfrierens von bestehenden Kassenhonoraren.
  3. Direktverträge, die vom Gesamtvertrag abweichen, sollen weiterhin nur mit Zustimmung der Ärzteschaft möglich sein.
  4. Der im Bereich der sozialen Krankenversicherung vorgesehene Wegfall der Bedarfsprüfung für selbständige Ambulatorien darf nur für gemeinnützige Träger gelten.
  5. Definition von medizinischen Versorgungsaufträgen nur unter Einbindung der ärztlichen Standesvertretung.
  6. Einbindung der ärztlichen Standesvertretung mit Sitz und Stimmrecht in der Landes-Zielsteuerung.

Wesentlichste Konsequenzen ohne Änderung der Begleitgesetze

Die Attraktivität und Sicherheit des Kassenvertrags ginge verloren. Bis 1. Jänner 2026 würden insbesondere Interessenten für ausgeschriebene Planstellen zurückhaltend agieren müssen, da die Bedingungen des Kassenvertrages weder bekannt noch gesichert sind. Zudem kommt die neue Konkurrenzsituation für Einzelpraxen und Gruppenpraxen in Form von nicht gemeinnützigen Ambulatorien mit Kassenvertrag zum Tragen.

Die Ärztekammer für Niederösterreich bekennt sich zu unserem solidarischen Gesundheitssystem, zur Vermeidung der zusätzlichen Belastung in den überfüllten Spitalsambulanzen und zur extramuralen Versorgung durch niedergelassene Ärzt:innen.

Die Bundeskurie Niedergelassene Ärzte (BKNÄ) hat in einer ao online-Sitzung am 8. November 2023 besprochen, erhebliche Mittel für Kampfmaßnahmen zur Verfügung zu stellen, um in der verbleibenden kurzen Zeit noch schwerwiegende Nachteile zu verhindern. Im Rahmen der Österreichischen Ärztekammer werden dafür Mittel bis zu EUR 4,5 Mio. und weiteren EUR 5 Mio. von Wien bereitgestellt. Zudem wurde die externe Prüfung einer möglichen Auflösung der Gesamtverträge aus wichtigem Grund durch die BKNÄ in die Wege geleitet. Am 15. November 2023 findet eine weitere Sitzung der BKNÄ in Präsenz statt.

Wir halten Sie selbstverständlich über die weitere Entwicklung auf dem Laufenden.

Für Fragen zur Abschaffung der Gesundheitspartnerschaft zwischen Ärztekammer und Sozialversicherung hat die Ärztekammer für Niederösterreich eine Hotline eingerichtet: Tel. +43 1 53751 260